Hier arbeitet ein Mensch

Im Rahmen der Initiative „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“ machte der DGB die Politik und Öffentlichkeit darauf aufmerksam, dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst und im privatisierten Sektor immer öfter beleidigt, bedroht oder angegriffen werden. Aus allen Teilen Deutschlands kamen am 14. September auf dem EUREF-Campus Vertreterinnen und Vertreter der im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vertretenen Arbeitnehmerorganisationen zu einer Konferenz zusammen. Sieben Stunden lang wurde über ein Thema gesprochen, das immer mehr zur Bedrohung unserer öffentlichen Ordnung wird. Gemeint ist die Bedrohung der im öffentlichen Dienst Beschäftigten.

Fassungslos schaut man auf die Statistik. 67 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und privatisiertem Sektor wurden in den letzten beiden Jahren Opfer von verbaler und körperlicher Gewalt. Das zieht sich durch alle Berufsgruppen, nicht nur bei Polizei und in Ordnungsämtern, sondern auch bei Rettungssanitätern oder Beschäftigten in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Bürger-, Sozial-, Jugend- und anderen Ämtern, und auch in Schulen oder Kindertagesstätten.

Diejenigen, die dafür sorgen, dass unser Gemeinwesen funktioniert, werden zunehmend von denen, für die sie tätig sind bedroht. 25,7% körperliche Bedrohung, 8,9% Starking außerhalb des Arbeitsplatzes, 58% Beleidigungen, 55,6% Anschreien, 11,7% Schläge oder Tritte, 13% wurden im Dienst angespuckt und 12,1% mit einer Waffe bedroht. Das sind die bekannten Zahlen, denn die Dunkelziffer wird noch viel höher sein. Nicht jeder, der sich dieser Art von Gewalt ausgesetzt war, meldet den Vorgang. Dies aber auf jeden Fall zu tun, dazu riefen die Gewerkschaftsvertreter ihre Kolleginnen und Kollegen auf.

Um den Beschäftigten besser helfen zu können, ist der DGB mit dem „Weißen Ring“ eine Kooperation eingegangen. Der Weiße Ring ist die bedeutendste Organisation, wenn es um Hilfe für Opfer von Straftaten geht. Mitbegründer ist der Fernsehjournalist Eduard Zimmermann (Aktenzeichen XY). 1976 wurde der Verein gegründet, der heute über 100 haupt- und fast 3.000 ehrenamtliche Mitarbeitende zählt und rund 43.000 Mitglieder hat.

Die Gewerkschaftstagung war hochkarätig besetzt. Unter den Gästen waren unter anderem: Alena Buyx (Vorsitzende des Ethik-Rates), Katina Schubert (Linke), Sepp Müller (CDU), Emily May Büning (Grüne) und Kevin Kühnert (SPD). Joachim Gauck hielt eine Keynote zum Thema: Wie ist es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt gestellt? „Ich bin für Zuversicht in diesem Lande zuständig“, sagte der ehemalige Bundespräsident (2012-2017)  in seinem Vortrag. Die Aufzählung von Missständen dürfe keine Ängste auslösen. Leichter gesagt als empfunden. Es müsse zu denken geben, wenn das Vertrauen der Bürger in die öffentliche Verwaltung abnehme. Wir befänden uns in einer „Zwischenphase“, so Gauck. Und niemand wisse, wohin es geht. Die letzten Jahre waren von Krisen geprägt. Der Lebensnerv schwindet, wogegen man sich stellen müsse. Es gäbe in Deutschland nicht nur Hotspots, wo „Bekloppte und Aggressive“ zusammenhausen (er meinte wohl Berlin), das Problem ziehe sich durchs ganze Land. Wir dürfen uns von denen „nicht vorführen lassen“. Wir müssen dem widerstehen und dürfen uns nicht wie Opfer vorkommen. Wir seien nicht zum Zuschauen geboren. Unsere Demokratie sei fragil, aber wehrhaft, wobei mit „wehrhaft“ nicht gemeint sei, mit den gleichen Mitteln zurückzuschlagen. Die Rede von Joachim Gauck sollte Mut machen und verfehlte ihren Sinn nicht.

Professorin Buyx sprach neben vielen anderen Aspekten die Probleme der jungen Generation und ihre physische Gesundheit an, die Ursache für Gewalt und Hass ist. Man habe angenommen, dass sich die Jugend während der Pandemie zurückgenommen habe. Dass dies nicht freiwillig geschah, ist bekannt.

Anmerkungen: 73 Prozent der Kinder sind heute noch psychisch belastet. Nun kümmert sich der Bund „um einen schnelleren Zugang zur therapeutischen Versorgung.“ Inzwischen weiß man, dass es ein Fehler war, Kinder und Jugendliche, von denen die geringste Gefahr ausging, zu isolieren. Entschuldigt hat sich dafür bislang kein Politiker. Ob die Pandemie Brandbeschleuniger bei der Jugendgewalt ist, müsste erst noch gründlich untersucht werden. Unabhängig davon sollte jeder von uns das DGB-Motto verinnerlichen, wenn er mit Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes zu tun hat: „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch.“

Redaktion und Fotos: Ed Koch

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